Es war einmal...

... dies eure Berge sind?"

Der Zwerg betrachtete ihn erstaunt. "Diese Berge sind unsere Heimat, wir leben und arbeiten hier. Deshalb nenne ich sie unsere Berge. Hier wohnen nur wenige Menschen, doch wenn du mit ihnen sprechen würdest, so mögen sie wohl auch die Berge die ihrigen nennen, aus dem gleichen Grund."

Eduard erkannte, dass er eine sehr törichte Bemerkung gemacht hatte, und verfiel in Schweigen. Dafür ergriff jetzt die Witwe das Wort:
"Wir müssen die andere Seite der Berge erreichen, denn wir haben einen Auftrag: dort eine bestimmte seltene Pflanze zu finden. Wir haben uns die Aufgabe nicht ausgesucht, doch es scheint wichtig zu sein und so konnten wir uns nicht weigern. Eine Grüne Fee hat uns darum gebeten."

Die Zwerge antworteten nicht gleich, sondern steckten die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander. Dann sagte der Sprecher: "Wenn das so ist, ...

...wollen wir euch alle Hilfe geben, die ihr erbittet und es in unserer Macht steht. Denn die grünen Feen sind bei uns hoch angesehen und einen Auftrag von einer zu bekommen, ist eine große Ehre."

"Und eine große Plackerei." murrmelte Eduard.

"Einfache Aufgaben würden auch nicht zur Ehre gereichen," erwiderte einer der Zwerge.
"Ihr guten Zwerge," fuhr die Witwe fort, ohne auf das zuvorgesprochene einzugehen. "Wir werden nicht mehr lange maschieren können. Unsere Kräfte sind verbraucht für heute. Vielleicht habt ihr aber ein Stück von eurem bekannten....

... Knäckebrot für uns, das der Sage nach zusätzliche Kräfte verleihen soll. Wenn ihr uns davon etwas abgebt, so können wir hoffen, heute noch ein gutes Stück weiterzukommen."

Der Sprecher der Zwerge antwortete nicht gleich. Er wandte sich zu seinen Gefährten und sie flüsterten eine Weile miteinander. Dann sagte er zu den beiden Reisenden:
"Wir haben einen anderen Vorschlag. Es ist schon spät und die Nacht bricht herein, und zusätzliche Kräfte würden euch nicht vor dem Stolpern im Dunkeln bewahren. Daher laden wir euch ein, die Nacht in unserer Behausung zu verbringen. Am Morgen könnt ihr dann weiterziehen und wir werden euch auch gerne etwas von unserem Brot abgeben."

Die Witwe nickte zustimmend, aber Eduard ...

...sah alles andere als erfreut aus.

"Wir sind nicht so klein wie ihr. Wie sollen wir denn bei euch unterkommen?"

Die Zwerge sahen verdutzt aus und dann brachen sie in schallendes Gelächter aus.

"Du bist wirklich putzig, für einen so großen Kerl. Glaubst du denn unsere Häuser sind so klein, dass gerade wir hineinpassen? Hast du noch nie vom Zwergenpalast gehört?"

"Doch, aber ich dachte..."

"Du dachtest es wäre einer Sandburg nicht unähnlich?" Wieder prustzeten die Zwerge los.
"Das ist er nicht, ihr werdet sehen und staunen!"

"So? Werden wir das?"

Eduard ist wirklich ein ungenießbarer Zeitgenosse, dachte die Witwe. Doch die Zweerge ließen sich nicht von seiner finsteren Aura stören.

"Kommt, folgt uns." Sagte der Anführer und staüfte los, ohne auch nur nachzusehen, ob die eigeladenen folgten. Diese aber taten es. Nach einer Weile...

... gelangten sie zu einer Höhle, die durch ein schweres hölzernes Tor verschlossen war.
Der Zwerg zog einen großen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete es.
Als die beiden Menschen eintraten, staunten sie nicht schlecht. Sie standen in einer geräumigen Eingangshalle, die von Fackeln hell erleuchtet war und von hohen Säulen gestützt wurde. Es gab Tische und bequeme Sessel in bunten Farben darin.
"Setzt euch und ruht euch aus", sagte der Anführer der Zwerge. "Wir müssen zuerst eure Ankunft melden."
Er verschwand durch eine Tür im Hintergrund und auch die anderen Zwerge zogen sich zurück.

Eduard wollte gerade wieder anfangen zu maulen, weil man sie warten ließ, als ein unbekannter Zwerg in die Halle trat, ein großes Tablett tragend.
"Entschuldigt bitte, dass ihr ein wenig warten müsst. Hier bringe ich etwas zu eurer Erfrischung."
Er setzte das Tablett, auf welchem zwei Bierkrüge und mehrere Teller mit Speisen standen, auf dem Tisch ab und ergänzte: "Die Königin ist im Augenblick beschäftigt, aber sie wird euch in Kürze empfangen."

"Königin?" sagte die Witwe erstaunt. "Ich wusste nicht, dass es weibliche Zwerge gibt und schon gar keine Königin."

Der Zwerg, der das Tablett abgestellt hatte machte nun seinerseits ein erstauntes Gesicht.

"Was glaubt ihr denn? Das wir auf Bäumen wachsen? Irgendwoher müssen die kleinen Zwerge ja kommen."

"Verzeiht meine Unwissenheit. Ich habe nie darüber nachgedacht. Ich dachte die Zwerge existieren seit Anbeginn."

"Tun wir ja auch. Länger als die Mensche zumindest, aber unsere Altvorderen sind schon lange im ewigen Steinbruch und erfreuen sich des wahren Reichtums."

Eduard hatte nicht ganz zugehört, sondern kaute vor sich hin. Bei dem Wort Reichtum aber horchte er auf.

"Gibt es denn auch einen falschen Reichtum?"

"Natürlich. All das Gold und die Edelsteine sind doch weiter nichts als Tand und irdisch, vergängliche Dinge."

Eduard hatte aufgehört zu kauen...

... denn das Thema interessierte ihn brennend.
"Dieses Gerede habe ich oft genug gehört, und immer von Leuten, denen es an nichts mangelte. Aber ich meinerseits wäre mit dem falschen Reichtum schon zufrieden, denn ich bin ein armer Mann und ich musste immer hart arbeiten, um nicht zu hungern. Den wahren Reichtum mag es im Jenseits geben, aber hier und jetzt wäre mir der "falsche" lieber."

Der Zwerg betrachtete ihn aufmerksam. "Ich will dich nicht für deine Ansicht tadeln, denn ich weiß nicht genug über dich und es ist wahr, dass man auch die vergänglichen Güter benötigt, solange man im vergänglichen Leben steht.
Aber auch hier und jetzt gibt es wahre Reichtümer, die wir alle erwerben können, wenn wir uns darum bemühen: Ehre und ein gutes Gewissen, das Bewusstsein, das Richtige getan zu haben."

Eduard wirkte nicht sehr überzeugt, doch er widersprach nicht, und die Witwe sagte: ...

"Mein lieber Zwerg, da hast du etwas Wahres gesagt. Aber manchmal kann man nicht das Richtige tun, weil einem die Mittel dazu fehlen. Wie soll ich einem armen Kind helfen, wenn ich nichts habe um die Not zu lindern?"

"Gute Frau, das ist wohl richtig, aber schon der Gedanke, etwas tun zu wollen, ist ein großer Reichtum, denn es zeigt das gute Herz."

Eduard konnte nun nicht mehr an sich halten:
"Papalapap! Gerede. Gutes Herz allein macht nicht satt. Hätte man meiner Familie ein Stück Brot gegeben, dann und wann zumindest, meine Mutter hätte nicht sterben müssen."

Der Zwerg sah den Alten traurig an.